Am Bahnsteig links ein Reih
und Glied der LehrerLinie
Die Welt
ist ab und zu in Bewegung, sogar auch die südböhmische, und so wundert man sich nicht,
daß das Projekt der Avantgardengruppe „Linie“ im Zug entstand. Die Trasse: České
Velenice/Gmünd - České Budějovice/Budweis, Zeit: Februar 1930. Gerade in České
Velenice/Gmünd, einer tschechoslowakischen Stadt ohne Marktplatz und Kirche, oder besser
gesagt: in einem seltsam abgerissenen Teil des Weitraer Gmünd, trafen am Bahnhof die
Lehrer Josef Bartuška, Karel Valter und Oldřich Nouza zusammen. Sie setzten sich in ein
Abteil, und der Kern der südböhmischen Avantgardegruppe, die alle künstlerischen Genres
(von der Malerei, Graphik, Photographie bis zur Literatur) frei überschritt, kam zur
Welt. Bald schlossen sich auch andere an: Emil Pitter, Richard Lander, Josef Stejskal,
Miroslav Haller, Miloš Mühlstein, später Norbert Frýd, F.X. Peyrek, Václav Ambrož,
Jaroslav Zavadil.
„Wir
wollen die Schwäche des hiesigen kulturellen Lebens überwinden, die heutige Kultur in
unser Milieu projektieren, wir wollen Kontakte mit europäischen kulturellen Zentren
anknüpfen und weiterführen. Wir wollen über die Aktualitäten des Lebens informieren.
Unser Programm ist das Leben.“
Die einleitende Erklärung der ersten Nummer
der Zeitschrift Linie, 1931
Sie geben eine
Zeitschrift und dünne Poesiebände heraus, veranstalten Ausstellungen, Poesielesungen und
Theatervorstellungen. Sie unterhalten sich. Im Zentrum dominiert die allseitige
Persönlichkeit Josef Bartušeks. Gerade er inspirierte nimmermüde dazu, womit
„Linie“ noch heute fesseln kann: und zwar zu immer neuen Versuchen, die einzelnen
künstlerischen Genres zu einer höheren Einheit zu verbinden. In der Barockzeit, die aber
die Avantgardisten prinzipiell ablehnten, nannte man so etwas ein Gesamtkunstwerk.
„Der
heutige Zuschauer möchte sich unterhalten, er möchte in Farben, Licht, Bewegung, in
unerwarteter Idee und Poesie der Szene nachdenken. Josef Bartuška meldet sich mit seinen
dünnen Poesiebänden, Plakaten und dem letzten Theaterstück [Láska z výkladní
skříně] ohne Ausnahme zu diesem neuen Heute...Auf einer fast leeren Bühne, die aus
einigen Hölzern, Leintüchern, Vorhängen, Megaphonen, Lampen und Papiersternen aufgebaut
ist, spielen auch der Regisseur, Kulissenschieber, Kapellmeister und ab und zu auch
irgendein tapferer Zuschauer.“
Miroslav Haller, 1931
„Ein
Rezept auf eine garantiert moderne und linke Kultur: Damit ein eine junge Kraft
versprühender Adept, der couragiert und kulturliebend ist, an eigene genügende
schöpferische Gabe glaubt, sucht er Seinesgleichen, und alle gemeinsam bilden eine
künstlerische Richtung oder mindestens eine Gruppe. So eine Gründung muß man
entsprechend verewigen, ein Feuerwerk muß fliegen, rauchen und sprühen, die Welt wird
dadurch doch bis zu ihren Gründen verändert! Und so schreibt man ein Manifest und denkt
Parolen aus. „Das sind wir!“ ruft diese Avantgarde auf die vorübergehenden
Spießbürger in den Straßen, und hinter dem geschlossenen Reih und Glied hervor schaut
sie ihnen frech bis auf die Nasenspitze. Die, die vorübergehen, halten ab und zu an,
womit sie sich von der alten verschimmelten Welt leicht trennen und ihren Spieß
vergessen. So einfach! Die neuen Kleider des Revolutionärs bewundert dann jedermann.
František Jenda, 1938 |